„Wenn wir arm wären, dann hätte unser Chauffeur nichts mehr zu essen, ebenso unsere Köchin, unser Dienstmädchen und unser Gärtner ….“
Kindliches Geschreibsel? Grenzenlose Dummheit? Oder nur ein gut erfundener Scherz mit dem ein kluger Kopf auf die Irrationalität unserer Gesellschaft hinwies?
Der Begriff „arm“ ist jedoch nicht nur auf jene bedürftige, besitzlose, einkommensschwache oder minderbegüterte Menschengruppe anzuwenden, sondern auch die im Sinne der Bibel besprochenen „Armen im Geiste“. „Ihrer ist das Himmelreich“ kann man hier lesen – wir Wiener bezeichnen sie als „Armutschkerl“.
Zu der Gruppe der Armutschkerl zählen für uns jene Menschen deren geistiger Horizont nicht viel weiter als bis zum Rand eines Suppentellers reicht, die Zeitungsüberschriften kommentieren ohne den wirklichen Inhalt zu kennen und vor allem, eingeengt durch Vorurteile, ein sehr beschränktes Leben führen.
Betrachten wir doch einmal den Begriff „Vorurteil gegenüber einer Menschengruppe“: Es bedeutet ein vorab abwertendes Urteil, eine wenig reflektierte Meinung über eine Personengruppe, die ohne verständigende Wirkung aller, vielleicht sogar positiven, Eigenschaften gefällt wird.
Doch nehmen wir uns damit nicht oft die Möglichkeit unseren eigenen Horizont zu erweitern?
Die meisten Menschen bewegen sich nur in ihrer eigenen, meist sehr abgezirkelten Welt. Sie suchen Freundschaften, die ihrem eigenen Bildungsstand entsprechen, übersehen jedoch dabei, dass das Wissen um den Sinn des Lebens eines ohne Hochschulstudium lebenden Menschen größer und ehrlicher sein kann, als so manches verwirrende Gedankengut eines so genannten Gelehrten. Sie suchen Freundschaften unter Gleichaltrigen, grenzen damit Menschen aus die vielleicht mehr Lebenserfahrung haben, oder eher die Gedankenwelt der Jugend vertreten. Sie suchen Freundschaften unter Menschen die den gleichen, hohen, finanziellen Background haben als sie selbst und vergessen dabei wie köstlich ein Stück Käse sein kann, der ohne hochtrabende Worte dargeboten wird.
Wie reicher wäre doch unsere Welt wenn es die Gruppe der Armutschkerl nicht gäbe, die vor lauter Nachdenken und Prüfen Menschen verurteilen, nur weil sie anders sind.
Das meint
(Leider) lange nichts "Wienerisches" mehr gelesen, schön, daß es mal wieder so einen kleinen Gedankenanstoß gab!
...vielleicht ja demnächst wieder regelmäßig...
danke für den wirklich wichtigen gedankenanstoß.
ich glaub, einer der gründe, warum menschen so gerne vorurteile in anspruch nehmen ist, dass man es sich spart, sich selbst zu reflektieren.
wenn du nur mit leuten zusammen bist, die deine meinung, deinen lebensstil teilen, dann kommst du nicht in die verlegenheit, dein ganzes leben zu durchleuchten.
es gibt zwei sätze, die bei mir dafür sorgen, dass ich allergisch reagiere:
"das haben wir immer schon so gemacht!"
und
"ich bin, wie ich bin."
beide drücken eine absolute starrheit aus, ein zombie-tum. lebendig tot sein.
ich hab gerade mit meinem (stief-)sohn (11) ein gespräch gehabt.
vorauszuschicken ist, dass er von seiner leiblichen mutter eine ziemlich üble einstellung anderen menschen gegenübr abgeschaut hat, und wenn man sich bemüht, ihm zu helfen, das abzulegen, dann schaltet er innerlich auf stur, und sucht sich einfach den nächstschwächeren, an dem er weiter seine herrschaftsansprüche ausleben kann.
spricht man ihn darauf an, dann kommt: "ich bemühe mich doch!"
ich hab ihm ein bild aufgezeichnet: ein zug auf zwei schienen, die eine schiene läuft gerade, die andere ist gebogen.
von ihm kam sofort: "klar, da kann der zug nicht drauf fahren, der entgleist."
ich fragte ihn, wie er meint, das problem lösen zu können.
er meinte: "na ja, ich kippe den zug, dann fährt er halt auf der graden schiene nur auf der einen seite auf den rädern."
ich fragte: "wie lange schafft ein zug das?"
er meinte: "nicht so lange, schätze ich. wenn eine kurve kommt, dann entgleist der zug auch."
ich: "richtig. was kann man also noch machen."
er: "den zug wieder so aufsetzen, dass er wieder auf der gebogenen schiene ist."
ich: "und dann?"
er: "öhm, ....."
ich: "DAS, mein sohn, DAS ist bemühen."
anschließend hab ich ein neues blatt genommen, und hab einen comic gezeichnet, in dem zwei bauarbeiter die die gebogene schiene rausmontieren, und eine neue, gerade schiene einbauen.
mein sohn war total baff. auf die lösung wäre er gar nicht gekommen.
ich hab ihm erklärt, dass eine wirkliche verbesserung nur eintreten kann, wenn man was ändert am gleis, nicht die lok zu akrobatischen aktionen benutzt.
das mag jetzt augenscheinlich nichts mit denem thema zu tun haben. aber faktisch ist es doch so, dass menschen ungern weiter als über ihren tellerrand schauen. man schwimmt lieber in einem dreckigen becken, das man kennt, als im sauberen wasser, wenn man dort die untiefen nicht kennt.
deshalb beäugt man auch jene, die in einem anderen becken schwimmen, erst mal kritisch und hofft, dass sie ins eigene becken kommen. tun sie das nicht, dann meint man gerne, die anderen wären dumm, rückständig oder feige.
dass den anderen vielleicht einfach die wasserqualität nicht passt, und man vielleicht im anderen becken - am anderen horizont, auf der anderen ebene, im anderen wesenszustand - viel mehr erleben würde, was einem wirklich hilft, in diesem leben gewinn zu haben und gewinn zu sein - das überlegt man gar nicht.
ich habe mich nach dem lesen deiner worte hinterfragt, und ich stelle für mich fest, dass ich selbst wieder ins fahrwasser komme, andere becken als nicht kompatibel zu betrachten.
in sofern danke ich dir sehr herzlich für den anstoß, (mal wieder) an mir zu arbeiten. :-)
dir noch einen schönen tag,
heike
ich stimme dir vollumfänglich zu. ich persönlich hab das glück mit dem tollen start nicht gehabt, und es hat mich sehr viel in meinem leben gekostet, zu verstehen, dass das, was ich erlebt habe, nicht der normalität entspricht und dass nicht alle menschen in meinem leben mir schlechtes wollen.
ich war sehr lange sehr ungerecht und wenn mir jemand sagte, dass ich unfair bin, dann bin ich an die decke gegangen.
das problem ist, dass aus opfern täter werden (können), weil die mechanismen, die sie entwickeln, um mit der umwelt zurecht zu kommen, für manche große verletzungsgefahr birgt und inne hat.
ich hab für mich in den letzten jahren - dank meines mannes beispielsweise - gelernt, dass ich in besonderen situationen erst mal innehalte, und mir die situation genau anschaue - die motivation meines gegenübers, den grund, warum mich etwas ankratzt, mein eigenes ziel.
und ich hab mittlerweile rausgefunden, dass ganz viel zoff in meinem leben deshalb stattgefunden hat, weil ich so ziemlich alles falsch eingeschätzt habe, was man nur falsch einschätzen kann.
diese erkenntnis hat mir auch gezeigt, dass ich sehr vorsichtig sein muss in der beurteilung anderer. wenn ich mir schon schwer tue, mich selbst richtig zu sehen, wie kann ich dann locker-flockig jemand anderen in kürzester zeit richtig beurteilen.
aber ich hör jetzt auf, weil ich ansonsten hier völlig vom thema abrutsche und euch eine komplett-analyse meines seins aufzwinge.
was ich auf alle fälle loswerden möchte: marina (brujita) war einer der menschen, der mir gezeigt hat, dass es sich lohnt, an sich zu arbeiten. (wegen ihr bin ich ja hier - falls sich jemand wundert, woher ich plötzlich auftauche.)
lieben gruß
heike