Aus dem Zeitarchiv vom 05.12.1957
Invasion der Fremden
Vier Hotels gibt es in Puerto de la Cruz: 150 Meter.über dem Ort, in einem wunderschönen botanischen Garten, liegt das Gran Hotel. Es gehört zur Klasse der Luxushotels in Spanien, verfügt jedoch nicht immer über alle Vorzüge dieser Preisart. Da Teppiche in den Korridoren fehlen, hallt jedes Geräusch, und der Gast kommt nie ganz zur Ruhe. Die Küche ist gut, aber nicht so gut, daß man sie rühmen könnte. Alle ?Extras" sind verhältnismäßig teuer für diese billige Insel, die zur Freihandelszone des Kanarischen Archipels gehört. Trotzdem wohnt man verhältnismäßig angenehm hier. Ein Hotelbus fährt gegen Bezahlung die Gäste zur Playa. Meist ist man jedoch auf Taxis angewiesen, die Tag und Nacht zum Taoro-Berg hinauffahren. Taxis sind billig, aber man braucht sie sehr oft. Bald soll ein Hotelschwimmbad eröffnet werden, das den Hotelgast verführen wird, die Playa noch seltener aufzusuchen. Es wird unter der Bar-Terrasse liegen, und der Hotelgast wird auch schwimmend den schneebedeckten Gipfel des 3707 Meter hohen Pik betrachten können.
Die Vollpension im Gran Hotel kostet 36 DM, aber für Pauschalreisende der deutschen Flugreisebüros gilt diese Summe nicht, sie liegt erheblich niedriger. Ein neuer Maitre d'hotel, ein Flame, der in Panama und Travemünde Erfahrungen sammelte, ist zur Zeit bemüht, den Luxusstandard herzustellen.
Für geringere Ansprüche stehen drei Hotels im Ort zur Verfügung. Eines davon liegt ein wenig abseits vom Gassenlärm, zwei liegen neben der Kirche, also im Zentrum. Hier muß der Gast Unruhe einkalkulieren. Das Hotelessen ist meist ausgesprochen mäßig. Man will eine Küche bieten, die an die Heimat der Gäste erinnert. Aber Eisbein und Sauerkraut schmecken nicht unter der kanarischen Sonne. Oft werden die Gäste in Dependancen untergebracht, die sehr enttäuschen. Es werden in den Reisebüro-Prospekten ?Villen in Parks" angeboten, die sich dann als simple Privatquartiere in engen Gassen entpuppen. Wer sich allein auf die vielversprechenden Prospekte verließ, ist bei der Ankunft häufig enttäuscht. Es gibt aber auch viele Bundesdeutsche, die mit Ansprüchen und Wünschen nach Teneriffa kommen, die hier nicht erfüllt werden können. Alle, die jetzt und Anfang des nächsten Jahres hier ihre Ferien verbringen wollen, werden wohl oder übel die großangelegten Erweiterungsbauten in Puerto de la Cruz mitfinanzieren müssen. Wegen des Andrangs der Gäste im letzten Jahr und der Hoffnung, daß dieser Boom anhält, werden neue Hotelflügel angelegt, und die Urlauber werden durch den Arbeitslärm gequält. Am Strand baut man ein neues großes Hotel für die deutschen Flugreisebüros. Aber die Arbeiter lassen sich Zeit. Nachtschichten, die aus Deutschland verlangt wurden, weil die Deutschen und Skandinavier es eilig haben, nach Puerto zu kommen, lehnten die Arbeiter stolz und freundlich ab: ?Wir verdienen genug und leben nur einmal."
Manchmal, wenn der Feriengast am Strand im Badeanzug liegt und den schneebedeckten Pik betrachtet, ziehen plötzlich Gewitter auf, die den Aufenthalt ungemütlich machen. ?Gemütlichkeit" sucht der Bundesdeutsche auch auf Teneriffa. Aber die Spanier verfügen nicht über das Organisationstalent, den Hunderten von Deutschen, die Puerto überfluten und es zu einer deutschen Ferienkolonie machen, so etwas zu bieten. Es gäbe schon schnelle Leute, die zum Beispiel Kioske einrichten würden, in denen die Touristen mit Zeitungen und selbstverständlich Ansichtskarten wie am Timmendorfer Strand versorgt werden. Aber für Ausländer gibt es keine Lizenzen. Der Kanare soll am Tourismus verdienen, und er wird es schon noch lernen..Der Charakter, den die eingeflogenen Deutschen dsm Ort gegeben haben, ist weit entfernt von dem, was er bisher hatte. Auch hier hat die Invasion der Fremden begonnen, das natürliche Leben der Einheimischen von Grund auf zu ändern!
Wenn der Reisende höhergelegene Teile der Insel aufsucht, kann er alle vier Jahreszeiten in einer einstündigen Taxifahrt erleben. Es gibt Lorbeerwälder und Pinienwälder wie nirgends auf dieser Erde. In den Kanadas, einem in 2200 Meter Höhe liegenden Urkrater der Insel, liegt im Winter Schnee, und die Besteigung des Pik von Teneriffa sollte eigentlich für alle, die noch bergsteigen können und die dünne Höhenluft ertragen, obligatorisch sein. Aber dazu braucht man sehr warme Kleidung und eine Ausrüstung, die man auf der Insel billig kauft.
Die Regierung hat soeben einen Parador, ein staatliches Hotel in den Kanadas fertigstellen lassen, der nun wirklich, in größter Einsamkeit, die vollkommene Erholung garantiert. Man lebt dort wie in einem Alpenhotel und kann doch in kurzer Zeit zur warmen Küste hinabfahren. Während eines dreiwöchigen Aufenthalts kann man täglich andere Ausflüge unternehmen. In dem Botanischen Garten von Orotava findet sich die Flora' aller Erdteile ? vom Affenbrotbaum bis zur Kaffeestaude. Unangenehm ist die sogenannte kanarische Krankheit, eine Dysenterie, die fast niemanden verschont. Man muß damit rechnen. Sie befällt die Gäste aus Europa auch mehrere Male. Auf den Prospekten ist sie nicht angeführt. Auch die Flugreise in der viermotorigen DC 4 einer deutschen Luftreederei ist eine Anstrengung, der man gewachsen sein'muß; man fliegt zehn bis zwölf Stunden im Nonstopflug. Bei der großen Entfernung erreicht man sein Ziel zwar nicht bequem, aber dafür schnell und sehr preiswert. Zwischenlandungen werden in Marräkesch oder Barcelona durchgeführt. Der Hinflug findet bei Tage statt, der Rückflug beginnt mittags zwölf Uhr ab Los Rodeos, dem Flugplatz der Insel, und endet am frühen Morgen des nächsten Tages in der Bundesrepublik. Jetzt im Winter kommen auch wieder die Engländer. Die besten Zimmer im Gran Hotel sind bis März von ihnen gekauft. Schließlich waren sie es, die Teneriffa zuerst als Ferienziel Entdeckten. Wer aber dennoch gern hierher möchte und dem Massenandrang der neuen Modeinsel entfliehen will, der kann noch auf den anderen Inseln des Archipels auf Entdeckungen ausgehen. Aber dorthin gelangt er nicht schnell mit dem Flugzeug, sondern nur mit dem Schiff.
? DIE ZEIT, 05.12.1957 Nr. 49
Invasion der Fremden
Vier Hotels gibt es in Puerto de la Cruz: 150 Meter.über dem Ort, in einem wunderschönen botanischen Garten, liegt das Gran Hotel. Es gehört zur Klasse der Luxushotels in Spanien, verfügt jedoch nicht immer über alle Vorzüge dieser Preisart. Da Teppiche in den Korridoren fehlen, hallt jedes Geräusch, und der Gast kommt nie ganz zur Ruhe. Die Küche ist gut, aber nicht so gut, daß man sie rühmen könnte. Alle ?Extras" sind verhältnismäßig teuer für diese billige Insel, die zur Freihandelszone des Kanarischen Archipels gehört. Trotzdem wohnt man verhältnismäßig angenehm hier. Ein Hotelbus fährt gegen Bezahlung die Gäste zur Playa. Meist ist man jedoch auf Taxis angewiesen, die Tag und Nacht zum Taoro-Berg hinauffahren. Taxis sind billig, aber man braucht sie sehr oft. Bald soll ein Hotelschwimmbad eröffnet werden, das den Hotelgast verführen wird, die Playa noch seltener aufzusuchen. Es wird unter der Bar-Terrasse liegen, und der Hotelgast wird auch schwimmend den schneebedeckten Gipfel des 3707 Meter hohen Pik betrachten können.
Die Vollpension im Gran Hotel kostet 36 DM, aber für Pauschalreisende der deutschen Flugreisebüros gilt diese Summe nicht, sie liegt erheblich niedriger. Ein neuer Maitre d'hotel, ein Flame, der in Panama und Travemünde Erfahrungen sammelte, ist zur Zeit bemüht, den Luxusstandard herzustellen.
Für geringere Ansprüche stehen drei Hotels im Ort zur Verfügung. Eines davon liegt ein wenig abseits vom Gassenlärm, zwei liegen neben der Kirche, also im Zentrum. Hier muß der Gast Unruhe einkalkulieren. Das Hotelessen ist meist ausgesprochen mäßig. Man will eine Küche bieten, die an die Heimat der Gäste erinnert. Aber Eisbein und Sauerkraut schmecken nicht unter der kanarischen Sonne. Oft werden die Gäste in Dependancen untergebracht, die sehr enttäuschen. Es werden in den Reisebüro-Prospekten ?Villen in Parks" angeboten, die sich dann als simple Privatquartiere in engen Gassen entpuppen. Wer sich allein auf die vielversprechenden Prospekte verließ, ist bei der Ankunft häufig enttäuscht. Es gibt aber auch viele Bundesdeutsche, die mit Ansprüchen und Wünschen nach Teneriffa kommen, die hier nicht erfüllt werden können. Alle, die jetzt und Anfang des nächsten Jahres hier ihre Ferien verbringen wollen, werden wohl oder übel die großangelegten Erweiterungsbauten in Puerto de la Cruz mitfinanzieren müssen. Wegen des Andrangs der Gäste im letzten Jahr und der Hoffnung, daß dieser Boom anhält, werden neue Hotelflügel angelegt, und die Urlauber werden durch den Arbeitslärm gequält. Am Strand baut man ein neues großes Hotel für die deutschen Flugreisebüros. Aber die Arbeiter lassen sich Zeit. Nachtschichten, die aus Deutschland verlangt wurden, weil die Deutschen und Skandinavier es eilig haben, nach Puerto zu kommen, lehnten die Arbeiter stolz und freundlich ab: ?Wir verdienen genug und leben nur einmal."
Manchmal, wenn der Feriengast am Strand im Badeanzug liegt und den schneebedeckten Pik betrachtet, ziehen plötzlich Gewitter auf, die den Aufenthalt ungemütlich machen. ?Gemütlichkeit" sucht der Bundesdeutsche auch auf Teneriffa. Aber die Spanier verfügen nicht über das Organisationstalent, den Hunderten von Deutschen, die Puerto überfluten und es zu einer deutschen Ferienkolonie machen, so etwas zu bieten. Es gäbe schon schnelle Leute, die zum Beispiel Kioske einrichten würden, in denen die Touristen mit Zeitungen und selbstverständlich Ansichtskarten wie am Timmendorfer Strand versorgt werden. Aber für Ausländer gibt es keine Lizenzen. Der Kanare soll am Tourismus verdienen, und er wird es schon noch lernen..Der Charakter, den die eingeflogenen Deutschen dsm Ort gegeben haben, ist weit entfernt von dem, was er bisher hatte. Auch hier hat die Invasion der Fremden begonnen, das natürliche Leben der Einheimischen von Grund auf zu ändern!
Wenn der Reisende höhergelegene Teile der Insel aufsucht, kann er alle vier Jahreszeiten in einer einstündigen Taxifahrt erleben. Es gibt Lorbeerwälder und Pinienwälder wie nirgends auf dieser Erde. In den Kanadas, einem in 2200 Meter Höhe liegenden Urkrater der Insel, liegt im Winter Schnee, und die Besteigung des Pik von Teneriffa sollte eigentlich für alle, die noch bergsteigen können und die dünne Höhenluft ertragen, obligatorisch sein. Aber dazu braucht man sehr warme Kleidung und eine Ausrüstung, die man auf der Insel billig kauft.
Die Regierung hat soeben einen Parador, ein staatliches Hotel in den Kanadas fertigstellen lassen, der nun wirklich, in größter Einsamkeit, die vollkommene Erholung garantiert. Man lebt dort wie in einem Alpenhotel und kann doch in kurzer Zeit zur warmen Küste hinabfahren. Während eines dreiwöchigen Aufenthalts kann man täglich andere Ausflüge unternehmen. In dem Botanischen Garten von Orotava findet sich die Flora' aller Erdteile ? vom Affenbrotbaum bis zur Kaffeestaude. Unangenehm ist die sogenannte kanarische Krankheit, eine Dysenterie, die fast niemanden verschont. Man muß damit rechnen. Sie befällt die Gäste aus Europa auch mehrere Male. Auf den Prospekten ist sie nicht angeführt. Auch die Flugreise in der viermotorigen DC 4 einer deutschen Luftreederei ist eine Anstrengung, der man gewachsen sein'muß; man fliegt zehn bis zwölf Stunden im Nonstopflug. Bei der großen Entfernung erreicht man sein Ziel zwar nicht bequem, aber dafür schnell und sehr preiswert. Zwischenlandungen werden in Marräkesch oder Barcelona durchgeführt. Der Hinflug findet bei Tage statt, der Rückflug beginnt mittags zwölf Uhr ab Los Rodeos, dem Flugplatz der Insel, und endet am frühen Morgen des nächsten Tages in der Bundesrepublik. Jetzt im Winter kommen auch wieder die Engländer. Die besten Zimmer im Gran Hotel sind bis März von ihnen gekauft. Schließlich waren sie es, die Teneriffa zuerst als Ferienziel Entdeckten. Wer aber dennoch gern hierher möchte und dem Massenandrang der neuen Modeinsel entfliehen will, der kann noch auf den anderen Inseln des Archipels auf Entdeckungen ausgehen. Aber dorthin gelangt er nicht schnell mit dem Flugzeug, sondern nur mit dem Schiff.
? DIE ZEIT, 05.12.1957 Nr. 49
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