http://www.spiegel.de/kultur/gesells...a-1071310.html
Das Wesen des neurechten Opferdiskurses ist es, dass der Rechte sagt, er werde unterdrückt in einem gleichgeschalteten Land, dabei sei er doch nur für die Freiheit der Rede - nur um dann allen, die die Freiheit der Rede nutzen und nicht seiner Meinung sind, "Totalitarismus" vorzuwerfen.
So ist er eben, der Rechte, er kann nicht anders. Er fühlt sich verfolgt, weil Gegnerschaft ein wesentlicher Teil seines Weltbildes ist. Er sieht überall Verschwörungen, weil er selbst so arbeitet. Er glaubt, dass alle um ihn herum lügen, weil er selbst ein gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit hat. Aber die Wahrheit ist ein zartes Gut. Sie ist nicht für alle sichtbar und nicht zu jeder Zeit, und möglicherweise gibt es sogar mehrere Wahrheiten, die Postmoderne hat nicht in allem geirrt.
Das ist für manche schwer auszuhalten, vor allem für die, die sich schon immer im Besitz der Wahrheit wähnten. Was in etwa die Definition für Ideologie ist. Die Wahrheit sei erst nach und nach bekannt geworden, hieß es nach den "Ereignissen von Köln" immer wieder, und das wurde als Beweis betrachtet, dass da eine ungeheuerliche Verschwörung im Gange ist, angeleitet von so bekannt "links-versifften" Kräften wie der Kölner Polizei, dem Berliner Innenminister und der SPD von NRW.
Aber es ist das Wesen der Wahrheit, dass sie sich nach und nach offenbart, sonst wäre ja alles viel einfacher. Der Journalismus zum Beispiel wäre sehr viel einfacher. Man müsste gar nicht recherchieren. Man wüsste ja schon alles. Das ist es übrigens, was die Rechten allen anderen gern vorwerfen. Weil sie selbst so sind und denken.
Überall Kulturkriege
Köln ist dafür das beste Beispiel. Was dort passierte, war schlimm. Es gibt Gesetze, die das regeln, in diesen Gesetzen spiegeln sich die Werte dieser Gesellschaft. Es ist ein Wesen der Rechten, dass sie gern nach Werten rufen, obwohl es Gesetze gibt. Sie haben ein kulturalistisches Weltbild, sie leiden seit langer Zeit unter einem Zustand, den man auch das Samuel-Huntington-Syndrom nennen könnte.
Sie sehen, mit anderen Worten, überall Kulturkriege. Weil sie selbst Kulturkrieger sind. Sie beschreiben die Welt mit ihren Worten. Sie kommen nicht so leicht aus ihrem Kopf heraus. Sie haben ein Problem mit der Wirklichkeit. Deshalb werfen sie anderen auch so gern vor, dass die ein Problem mit der Wirklichkeit hätten. Der Rechte hat gelernt, mit seinen Defiziten kreativ und aggressiv umzugehen.
"Köln" war für sie wie ein kollektiver Startschuss. All das, was sich im vergangenen Jahr aufgebaut hatte, all die aufgestaute Xenophobie, all der gekränkte Nationalismus, all der autoritäre Staatsglaube, all der Egoismus der neoliberalen Wirklichkeitskonstrukteure brach los in einer einmaligen und von Hysterie und Hass besonders im Internet unheimlich beförderten medialen Hetzjagd, die das Gegenteil war von der Aufklärung, die uns einmal versprochen wurde.
Warum sollte man abwarten und herausfinden, was dort in der Silvesternacht passiert war? Man wusste es ja schon. Man hatte es immer gewusst. "Köln" war der Beweis. "Das sind die Folgen der falschen Toleranz", wusste Alice Schwarzer von "Emma". Die Überfälle, die sexuellen Attacken, die Meute, all das sei "ein Vorgeschmack auf die Probleme einer außer Kontrolle geratenen Einwanderungspolitik", wusste Alexander Marguier von "Cicero".
Woher wussten sie das? Was waren die Grundlagen ihres Wissens? Und warum war das, was in Köln geschah, nicht ein Vorgeschmack auf die Probleme einer außer Kontrolle geratenen Globalisierung, von der wir aber sonst bisher herrlich profitieren? Warum war es nicht ein Vorgeschmack auf die Probleme einer Polizei, die mit zu wenig Geld ausgestattet ist, was möglicherweise, nur möglicherweise, mit der Schäubleschen Feier der schwarzen Null zu tun hat oder den Milliarden, die für die Bankenrettungen drauf gegangen sind?
Warum also war es nicht einfach Polizeiversagen? Warum sollte man gleich wieder Gesetze verschärfen? Warum ist Ausweisung das beste Mittel gegen Verbrechen? Was wäre, wenn die Täter deutsche Staatsbürger wären? Überhaupt: No-go-Areas? Ein sehr beliebtes Wort in diesem Zusammenhang. Was ist mit den No-go-Areas für Ausländer oder einfach nur Politiker? In Wismar wurde diese Woche ein Politiker der Linken niedergestochen. Wo blieb da der #aufschrei?
Wer Frauen schützt, muss auch Flüchtlinge schützen
Aber das ist die Sache mit den Werten. Man kann sie so einsetzen, wie man will, als rhetorisches Mittel in ideologischen Zeiten. Das Problem dabei ist: Was ist falsch verstandene Toleranz? Was ist überhaupt Toleranz? Wo kommt dieser Gedanke her? Wie ist der in der Aufklärung verankert? Was ist noch in der Aufklärung verankert? Ist Toleranz nicht nur die andere Seite, die konkrete Anwendung der universalen Menschenrechte im Inneren? Was würde das dann aber für die universalen Menschenrechte im Äußeren bedeuten? Was wäre hier eine richtig verstandene Anwendung der Werte, auf denen auch die richtig verstandene Toleranz beruhen würde? Müsste man dann nicht dafür sorgen, aus dem gleichen Grund, aus dem man auch im Inneren für den Erhalt dieser Werte eintritt, dass man Menschen diese Rechte nicht aus nationalem Egoismus verweigern kann? Weil sonst das System dieser Werte zusammenbricht, die zwangsläufig auf Universalität angelegt sind. Mit anderen Worten: Wer Frauen schützt, muss auch Flüchtlinge schützen.
Aber um solche Lappalien ging es gar nicht in den Tagen nach "Köln". Es ging nicht um individuelle Schuld und Aufklärung, wie es das Prinzip des Rechts ist und hier speziell des Strafrechts. Es ging auch ganz explizit nicht darum, nach Gründen zu fragen oder zu forschen, das gilt heute ja schon wieder als linke Verirrung. Nach Gründen fragen? Phu. Wer aber hat geraubt und gegrapscht? Banden? Kriminelle? Mitläufer? Flüchtlinge? Und was wäre, wenn es Flüchtlinge wären? Was würde das beweisen? Dass alles falsch war? Nur jemand, der in reinen Wahrheiten denkt, würde sagen, dass bei einer Million Menschen nicht rein statistisch eine gewisse Anzahl an Schurken und Arschlöchern dabei ist.
Also, man sollte rational sein. Das aber ist schwierig, wenn es gerade Journalisten, die eigentlich an Erklärungen interessiert sein sollten, vor allem um Abrechnung geht. So ist das zum Beispiel bei der "Frankfurter Allgemeinen", die nach dem Tod des im Rückblick immer liberaler erscheinenden Ankers Frank Schirrmacher irrlichternd immer weiter nach rechts treibt - eine "Schweigespirale" sah der Herausgeber Berthold Kohler. Von "Schweigekartellen" spricht auch CSU-Generalsekretär Scheuer. AfD und Pegida sind nur Magneten für Gedanken, die andere auch anderswo haben.
Bis weit hinein in das journalistische Milieu reicht dieses Verschwörungsdenken, und das Vokabular unterscheidet sich nur leicht von den Worten derjenigen, die von "Systemmedien" sprechen, was impliziert, dass die verlogenen Medien genauso fallen sollten wie das verlogene System, die Demokratie. Und es ist mir immer noch und immer wieder schleierhaft, was die, die gerade so laut tönen, eigentlich wollen. Was zum Beispiel meint Berthold Kohler damit, dass die Schweigespirale schon seit Jahrzehnten politisch gewollt ist? Wie weit zurück reicht sein Furor? Was meint er? Haben sich Strauß, Brandt und Dutschke zusammen geschlossen, um den Untergang des deutschen Volkes zu beschließen? War die Wiedereinigung nur ein Trick? War es die einzige Möglichkeit, die Integration der Einwanderer zu vermeiden, ihnen über Jahrzehnte das Wahlrecht abzusprechen? Notwehr und Steuern?
Was meinen sie mit "gescheiterter Integration"?
Es ist eben so vieles unklar, gerade an dem, was die hysterischen Windmacher sagen. Was meinen sie mit der "gescheiterten Integration"? Meinen sie, dass sie alles dafür getan haben, damit die Integration funktioniert, heute und in der Vergangenheit, und dass die Flüchtlinge, Migranten, Einwanderer, die nach Deutschland gekommen sind, trotzig abgelehnt haben? Oder meinen sie, dass sie erkannt haben, dass zu wenig Initiative, zu wenig Geld, zu wenig Herz auch für das aufgewendet wurde, was sie Integration nennen und andere Einwanderung und für das es eigentlich längst ein modernes Einwanderungsgesetz geben sollte, das aber oft genau die ablehnen, die sich am lautesten über die gescheiterte Integration beschweren?
Haben sie denn selbst irgendwas dafür getan, dass die Integration klappt? Oder beschweren sie sich nur über etwas, das sie eh ablehnen? Was soll zum Beispiel der Vorwurf gerade an eher links-denkende Feministinnen, die sich seit Jahren mit den Rechten der Frauen gerade auch im migrantischen Milieu beschäftigen, sie hätten das alles verharmlost - vorgetragen von Leuten, die sonst den Feminismus als den Grund ausgemacht haben, dass die Deutschen aussterben, weil die Frauen sich zu sehr mit sich selbst beschäftigen und zu wenig mit der Aufgabe, den Erhalt des Volkes durch Kinder, Kinder, Kinder zu sichern?
Es geht eben gerade alles brutal durcheinander. Was soll es zum Beispiel bedeuten, wenn Bundesjustizminister Heiko "Gesindel" Maas sagt, in Köln habe es einen "Zivilisationsbruch" gegeben, ein Wort, das bislang für Auschwitz und den Judenmord verwendet wurde? In Frankreich hat sich die Nation vor einem Jahr nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" mehr oder weniger gelungen darum bemüht, ein großes gesellschaftliches Gespräch in Gang zu bekommen und als Gemeinschaft zusammenzustehen. Es gab Tote, es gab auch im November Tote. Die Täter kamen aus der Mitte der Gesellschaft. Es war ein Schock. Die Nation reagierte ohne jede Hysterie, ohne Hass.
Köln war, nach allem, was wir wissen, schrecklich. Es wurden bislang 31 Verdächtige identifiziert, darunter Deutsche, ein Serbe und ein Amerikaner. 18 Verdächtige sind Asylbewerber aus Afrika und dem Mittleren Osten. Aber rechtfertigt das unter der Überschrift "Der Albtraum" eine Unterzeile wie die in der "Zeit": "Arabische Männer, die deutsche Frauen begrapschen"? Und wie klug, auf einem ganz grundsätzlichen logischen Level, ist eine Unterzeile wie die in der "Berliner Zeitung": "Egal, wer die Täter von Köln waren - mutmaßlich sind sie gefangen in Sexualnot und den Fesseln einer Kultur, die Frauen entweder als heilige Mütter oder als schleierlose Schlampen betrachtet"?
Ein Tiefpunkt des Journalismus
Was in Köln passiert ist, war eine Schande. Was danach passiert ist, war ein Tiefpunkt des Journalismus in diesem Land. Am selben Tag, an dem "Köln" mein Facebook zum Glühen brachte, stand im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" ein Text, der immerhin etwas von dem zu erklären schien, was gerade geschah. Geschrieben hat den Text ausgerechnet Martin Mosebach, der Lieblingsreaktionär der deutschen Kulturmenschen. Und er zitierte auch noch Rudolf Borchardt.
"Das deutsche Volk en masse", schrieb Borchardt vor einer ganzen Weile, habe "die europäische Kultur, die ihm importiert worden" sei, "nie wirklich recipiert und sich vielmehr immer in stummer Auflehnung gegen sie" befunden. Ich habe das auch immer geahnt, aber wenn es so ein reaktionärer Schwerenöter wie Borchardt selbst sagt, ist es natürlich viel schöner.
Also: Die Mehrheit der Deutschen tut sich, kurz gefasst, schwer mit der Zivilisation. Die "slawisch-germanische Misch-Race", so zitiert Mosebach Theodor Fontane, sei zu vielem befähigt, nur nicht zu "Form und Geschmack". Ist das so? Erklärt das nicht nur den Hass so vieler, die sich von dem überfordert sehen, was sie als Zivilisation, Moderne oder generell Globalisierung erleben? Die einfachen Wahrheiten wären eine Antwort auf diese Überforderung.
Die andere formuliert wiederum Mosebach selbst: "Ist ein Deutscher vorstellbar", so fragt er sich und seine Leser, "der in seiner Existenz nicht irgendwie und noch so schwach von der deutschen Disposition zum Bürgerkrieg gezeichnet ist?"
Ich würde sagen: Ja. Ich hätte immer gesagt: Ja. Nach der Woche von "Köln" bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Das Wesen des neurechten Opferdiskurses ist es, dass der Rechte sagt, er werde unterdrückt in einem gleichgeschalteten Land, dabei sei er doch nur für die Freiheit der Rede - nur um dann allen, die die Freiheit der Rede nutzen und nicht seiner Meinung sind, "Totalitarismus" vorzuwerfen.
So ist er eben, der Rechte, er kann nicht anders. Er fühlt sich verfolgt, weil Gegnerschaft ein wesentlicher Teil seines Weltbildes ist. Er sieht überall Verschwörungen, weil er selbst so arbeitet. Er glaubt, dass alle um ihn herum lügen, weil er selbst ein gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit hat. Aber die Wahrheit ist ein zartes Gut. Sie ist nicht für alle sichtbar und nicht zu jeder Zeit, und möglicherweise gibt es sogar mehrere Wahrheiten, die Postmoderne hat nicht in allem geirrt.
Das ist für manche schwer auszuhalten, vor allem für die, die sich schon immer im Besitz der Wahrheit wähnten. Was in etwa die Definition für Ideologie ist. Die Wahrheit sei erst nach und nach bekannt geworden, hieß es nach den "Ereignissen von Köln" immer wieder, und das wurde als Beweis betrachtet, dass da eine ungeheuerliche Verschwörung im Gange ist, angeleitet von so bekannt "links-versifften" Kräften wie der Kölner Polizei, dem Berliner Innenminister und der SPD von NRW.
Aber es ist das Wesen der Wahrheit, dass sie sich nach und nach offenbart, sonst wäre ja alles viel einfacher. Der Journalismus zum Beispiel wäre sehr viel einfacher. Man müsste gar nicht recherchieren. Man wüsste ja schon alles. Das ist es übrigens, was die Rechten allen anderen gern vorwerfen. Weil sie selbst so sind und denken.
Überall Kulturkriege
Köln ist dafür das beste Beispiel. Was dort passierte, war schlimm. Es gibt Gesetze, die das regeln, in diesen Gesetzen spiegeln sich die Werte dieser Gesellschaft. Es ist ein Wesen der Rechten, dass sie gern nach Werten rufen, obwohl es Gesetze gibt. Sie haben ein kulturalistisches Weltbild, sie leiden seit langer Zeit unter einem Zustand, den man auch das Samuel-Huntington-Syndrom nennen könnte.
Sie sehen, mit anderen Worten, überall Kulturkriege. Weil sie selbst Kulturkrieger sind. Sie beschreiben die Welt mit ihren Worten. Sie kommen nicht so leicht aus ihrem Kopf heraus. Sie haben ein Problem mit der Wirklichkeit. Deshalb werfen sie anderen auch so gern vor, dass die ein Problem mit der Wirklichkeit hätten. Der Rechte hat gelernt, mit seinen Defiziten kreativ und aggressiv umzugehen.
"Köln" war für sie wie ein kollektiver Startschuss. All das, was sich im vergangenen Jahr aufgebaut hatte, all die aufgestaute Xenophobie, all der gekränkte Nationalismus, all der autoritäre Staatsglaube, all der Egoismus der neoliberalen Wirklichkeitskonstrukteure brach los in einer einmaligen und von Hysterie und Hass besonders im Internet unheimlich beförderten medialen Hetzjagd, die das Gegenteil war von der Aufklärung, die uns einmal versprochen wurde.
Warum sollte man abwarten und herausfinden, was dort in der Silvesternacht passiert war? Man wusste es ja schon. Man hatte es immer gewusst. "Köln" war der Beweis. "Das sind die Folgen der falschen Toleranz", wusste Alice Schwarzer von "Emma". Die Überfälle, die sexuellen Attacken, die Meute, all das sei "ein Vorgeschmack auf die Probleme einer außer Kontrolle geratenen Einwanderungspolitik", wusste Alexander Marguier von "Cicero".
Woher wussten sie das? Was waren die Grundlagen ihres Wissens? Und warum war das, was in Köln geschah, nicht ein Vorgeschmack auf die Probleme einer außer Kontrolle geratenen Globalisierung, von der wir aber sonst bisher herrlich profitieren? Warum war es nicht ein Vorgeschmack auf die Probleme einer Polizei, die mit zu wenig Geld ausgestattet ist, was möglicherweise, nur möglicherweise, mit der Schäubleschen Feier der schwarzen Null zu tun hat oder den Milliarden, die für die Bankenrettungen drauf gegangen sind?
Warum also war es nicht einfach Polizeiversagen? Warum sollte man gleich wieder Gesetze verschärfen? Warum ist Ausweisung das beste Mittel gegen Verbrechen? Was wäre, wenn die Täter deutsche Staatsbürger wären? Überhaupt: No-go-Areas? Ein sehr beliebtes Wort in diesem Zusammenhang. Was ist mit den No-go-Areas für Ausländer oder einfach nur Politiker? In Wismar wurde diese Woche ein Politiker der Linken niedergestochen. Wo blieb da der #aufschrei?
Wer Frauen schützt, muss auch Flüchtlinge schützen
Aber das ist die Sache mit den Werten. Man kann sie so einsetzen, wie man will, als rhetorisches Mittel in ideologischen Zeiten. Das Problem dabei ist: Was ist falsch verstandene Toleranz? Was ist überhaupt Toleranz? Wo kommt dieser Gedanke her? Wie ist der in der Aufklärung verankert? Was ist noch in der Aufklärung verankert? Ist Toleranz nicht nur die andere Seite, die konkrete Anwendung der universalen Menschenrechte im Inneren? Was würde das dann aber für die universalen Menschenrechte im Äußeren bedeuten? Was wäre hier eine richtig verstandene Anwendung der Werte, auf denen auch die richtig verstandene Toleranz beruhen würde? Müsste man dann nicht dafür sorgen, aus dem gleichen Grund, aus dem man auch im Inneren für den Erhalt dieser Werte eintritt, dass man Menschen diese Rechte nicht aus nationalem Egoismus verweigern kann? Weil sonst das System dieser Werte zusammenbricht, die zwangsläufig auf Universalität angelegt sind. Mit anderen Worten: Wer Frauen schützt, muss auch Flüchtlinge schützen.
Aber um solche Lappalien ging es gar nicht in den Tagen nach "Köln". Es ging nicht um individuelle Schuld und Aufklärung, wie es das Prinzip des Rechts ist und hier speziell des Strafrechts. Es ging auch ganz explizit nicht darum, nach Gründen zu fragen oder zu forschen, das gilt heute ja schon wieder als linke Verirrung. Nach Gründen fragen? Phu. Wer aber hat geraubt und gegrapscht? Banden? Kriminelle? Mitläufer? Flüchtlinge? Und was wäre, wenn es Flüchtlinge wären? Was würde das beweisen? Dass alles falsch war? Nur jemand, der in reinen Wahrheiten denkt, würde sagen, dass bei einer Million Menschen nicht rein statistisch eine gewisse Anzahl an Schurken und Arschlöchern dabei ist.
Also, man sollte rational sein. Das aber ist schwierig, wenn es gerade Journalisten, die eigentlich an Erklärungen interessiert sein sollten, vor allem um Abrechnung geht. So ist das zum Beispiel bei der "Frankfurter Allgemeinen", die nach dem Tod des im Rückblick immer liberaler erscheinenden Ankers Frank Schirrmacher irrlichternd immer weiter nach rechts treibt - eine "Schweigespirale" sah der Herausgeber Berthold Kohler. Von "Schweigekartellen" spricht auch CSU-Generalsekretär Scheuer. AfD und Pegida sind nur Magneten für Gedanken, die andere auch anderswo haben.
Bis weit hinein in das journalistische Milieu reicht dieses Verschwörungsdenken, und das Vokabular unterscheidet sich nur leicht von den Worten derjenigen, die von "Systemmedien" sprechen, was impliziert, dass die verlogenen Medien genauso fallen sollten wie das verlogene System, die Demokratie. Und es ist mir immer noch und immer wieder schleierhaft, was die, die gerade so laut tönen, eigentlich wollen. Was zum Beispiel meint Berthold Kohler damit, dass die Schweigespirale schon seit Jahrzehnten politisch gewollt ist? Wie weit zurück reicht sein Furor? Was meint er? Haben sich Strauß, Brandt und Dutschke zusammen geschlossen, um den Untergang des deutschen Volkes zu beschließen? War die Wiedereinigung nur ein Trick? War es die einzige Möglichkeit, die Integration der Einwanderer zu vermeiden, ihnen über Jahrzehnte das Wahlrecht abzusprechen? Notwehr und Steuern?
Was meinen sie mit "gescheiterter Integration"?
Es ist eben so vieles unklar, gerade an dem, was die hysterischen Windmacher sagen. Was meinen sie mit der "gescheiterten Integration"? Meinen sie, dass sie alles dafür getan haben, damit die Integration funktioniert, heute und in der Vergangenheit, und dass die Flüchtlinge, Migranten, Einwanderer, die nach Deutschland gekommen sind, trotzig abgelehnt haben? Oder meinen sie, dass sie erkannt haben, dass zu wenig Initiative, zu wenig Geld, zu wenig Herz auch für das aufgewendet wurde, was sie Integration nennen und andere Einwanderung und für das es eigentlich längst ein modernes Einwanderungsgesetz geben sollte, das aber oft genau die ablehnen, die sich am lautesten über die gescheiterte Integration beschweren?
Haben sie denn selbst irgendwas dafür getan, dass die Integration klappt? Oder beschweren sie sich nur über etwas, das sie eh ablehnen? Was soll zum Beispiel der Vorwurf gerade an eher links-denkende Feministinnen, die sich seit Jahren mit den Rechten der Frauen gerade auch im migrantischen Milieu beschäftigen, sie hätten das alles verharmlost - vorgetragen von Leuten, die sonst den Feminismus als den Grund ausgemacht haben, dass die Deutschen aussterben, weil die Frauen sich zu sehr mit sich selbst beschäftigen und zu wenig mit der Aufgabe, den Erhalt des Volkes durch Kinder, Kinder, Kinder zu sichern?
Es geht eben gerade alles brutal durcheinander. Was soll es zum Beispiel bedeuten, wenn Bundesjustizminister Heiko "Gesindel" Maas sagt, in Köln habe es einen "Zivilisationsbruch" gegeben, ein Wort, das bislang für Auschwitz und den Judenmord verwendet wurde? In Frankreich hat sich die Nation vor einem Jahr nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" mehr oder weniger gelungen darum bemüht, ein großes gesellschaftliches Gespräch in Gang zu bekommen und als Gemeinschaft zusammenzustehen. Es gab Tote, es gab auch im November Tote. Die Täter kamen aus der Mitte der Gesellschaft. Es war ein Schock. Die Nation reagierte ohne jede Hysterie, ohne Hass.
Köln war, nach allem, was wir wissen, schrecklich. Es wurden bislang 31 Verdächtige identifiziert, darunter Deutsche, ein Serbe und ein Amerikaner. 18 Verdächtige sind Asylbewerber aus Afrika und dem Mittleren Osten. Aber rechtfertigt das unter der Überschrift "Der Albtraum" eine Unterzeile wie die in der "Zeit": "Arabische Männer, die deutsche Frauen begrapschen"? Und wie klug, auf einem ganz grundsätzlichen logischen Level, ist eine Unterzeile wie die in der "Berliner Zeitung": "Egal, wer die Täter von Köln waren - mutmaßlich sind sie gefangen in Sexualnot und den Fesseln einer Kultur, die Frauen entweder als heilige Mütter oder als schleierlose Schlampen betrachtet"?
Ein Tiefpunkt des Journalismus
Was in Köln passiert ist, war eine Schande. Was danach passiert ist, war ein Tiefpunkt des Journalismus in diesem Land. Am selben Tag, an dem "Köln" mein Facebook zum Glühen brachte, stand im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" ein Text, der immerhin etwas von dem zu erklären schien, was gerade geschah. Geschrieben hat den Text ausgerechnet Martin Mosebach, der Lieblingsreaktionär der deutschen Kulturmenschen. Und er zitierte auch noch Rudolf Borchardt.
"Das deutsche Volk en masse", schrieb Borchardt vor einer ganzen Weile, habe "die europäische Kultur, die ihm importiert worden" sei, "nie wirklich recipiert und sich vielmehr immer in stummer Auflehnung gegen sie" befunden. Ich habe das auch immer geahnt, aber wenn es so ein reaktionärer Schwerenöter wie Borchardt selbst sagt, ist es natürlich viel schöner.
Also: Die Mehrheit der Deutschen tut sich, kurz gefasst, schwer mit der Zivilisation. Die "slawisch-germanische Misch-Race", so zitiert Mosebach Theodor Fontane, sei zu vielem befähigt, nur nicht zu "Form und Geschmack". Ist das so? Erklärt das nicht nur den Hass so vieler, die sich von dem überfordert sehen, was sie als Zivilisation, Moderne oder generell Globalisierung erleben? Die einfachen Wahrheiten wären eine Antwort auf diese Überforderung.
Die andere formuliert wiederum Mosebach selbst: "Ist ein Deutscher vorstellbar", so fragt er sich und seine Leser, "der in seiner Existenz nicht irgendwie und noch so schwach von der deutschen Disposition zum Bürgerkrieg gezeichnet ist?"
Ich würde sagen: Ja. Ich hätte immer gesagt: Ja. Nach der Woche von "Köln" bin ich mir da nicht mehr so sicher.
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