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    #1

    Ein Weihnachtsmärchen

    Ein Weihnachtsmärchen,
    erzählt von Irene-Christine Graf


    Es war einer jener Tage im vorweihnachtlichen Wien, wo sich die rege Betriebsamkeit der Menschen seiner Eile schämte und, eingefangen vom Zauber eines Christkindlmarktes, von kindlichen Träumen treiben ließ. Es war einer jener Tage, wo das hektische Treiben vor dem mit Reisig geschmückten Tor dieses kleinen Platzes Halt zu machen schien, um dem Wunsch nach weihnachtlichem Frieden Platz zu machen. Unzählige Stände, in Reih und Glied aneinandergereiht, boten glitzerndes Beiwerk zu einem glänzenden Fest, lockten mit verführerischen Düften, motivierten dazu, das eine oder andere Stück zu kaufen, um wenigstens einen Hauch dieser illuminierten Welt mit nach Hause zu nehmen.

    ?Was such ma denn?? rief er misstrauisch der alten Frau zu, die mit von der Kälte geröteten Händen an einem seiner prächtigsten Bäume fingerte.
    ?Das Glück? antwortete sie mit brüchiger Stimme und auf ihrem von unzähligen Falten überzogenen Gesicht erschien ein Lächeln.
    ?Das wird erst morgen geliefert? brummte er und schüttelte den Kopf.
    ?Ist gut, dann komm ich morgen wieder? hörte er sie leise sagen und sah wie sie langsam humpelnd davonging und es schien, als ob sich mit jedem Schritt, mit dem sie sich entfernte, der Himmel mehr verfinstern würde.

    Und dann war er da, der Wind, der mit behänden Fingern an Hüten und Mänteln zauste, die langsam welkenden Reste eines üppigen Blattwerkes mit sich in die Lüfte riss, sie spielerisch tanzend einen letzten Gruß an die Vergänglichkeit entbieten ließ, um sie dann achtlos zu Boden zu werfen. Die Menschen flohen, ihren weihnachtlichen Träumen entrissen, in ihre wärmenden Häuser und hinterließen sich leerende Gänge in festlich geschmückten Glanz, achtlos fallen gelassene Pappteller und Becher und eine Unzahl von Papier, welches seiner Zweckmäßigkeit beraubt, sich hilflos dem Treiben des Windes überließ.

    Müde, der allgemeinen Aufbruchstimmung folgend, versorgte er die wurzellosen, noch auf ihre neue Bestimmung wartenden Bäume für die Nacht, schlang dicke Schnüre um die geschnittenen Zweige und, wie von einem inneren Drang gezwungen, befreite er ein, nur lose in den Ästen hängendes Stück Papier, von seiner windgebeutelten Zuflucht. Es war der Teil einer Zeitung. Es war der Teil einer alten Zeitung und die Buchstaben, die ihm fast trotzig entgegen schauten, begannen vor seinen Augen zu tanzen. Er kannte den Text, er kannte ihn auswendig. Schmerzhaft kamen ihm die Bilder jenes Morgens in Erinnerung als er die Zeitung gelesen und mehr unbewusst als bewusst die Meldung las die vom Schicksal eines jungen Journalisten im Kosovo berichtete, der bei einem Bombenangriff ums Leben kam. ?Florian Braunschweig, einer unserer begabtesten ??..? stand hier und er wusste, dass ab diesem Moment auch sein Leben nie mehr wie früher sein würde.

    Die Zeit heilt alle Wunden hatte man ihm gesagt, als er dann, vor jetzt schon mehr als sechs Jahren, seinen Sohn zu Grabe getragen und schluchzend zusammengebrochen war, doch die Zeit hatte nur eine unendliche Leere in ihm hinterlassen und aus dem selbstbewussten, kraftstrotzenden Mann einen griesgrämigen Alten werden lassen.

    Einer schlaflosen Nacht, in der er von quälenden Albträumen heimgesucht worden war, folgte einer jener Tage, an dem, die Schatten der Nacht und der Unbill des Wetters keine Spuren hinterlassen hatten und die klare Winterluft die Hoffnung auf einen schönen Tag erweckt.
    ?Kummt er oder kummt er heut a net? rief ihm die, in dicke Jacken und Tücher gehüllte Besitzerin des Punschstandes zu und schickte einen fragenden Blick zum wolkenverhangenen Himmel.
    ?Wenn meinst denn? brummte er mürrisch, nahm jedoch dankbar den reichlich mit Rum versetzten Tee an.
    ?Na den Weihnachtsmann werd´ ich meinen, Du alter Depp? lachte sie gutmütig und bestrich mit geschickten Händen weitere Schmalzbrote und belegte sie mit frisch geschnittenen Zwiebeln.
    ?Lass den Schmarrn? erwiderte er missmutig und kehrte zurück zu seinem Platz.

    Und da war sie wieder, diese Alte, mit ihrem viel zu groß wirkenden Mantel und der schief auf dem Kopf sitzenden Pelzkappe die sicher schon einmal bessere Tage erlebt hatte.
    ?Haben Sie die Lieferung bekommen? fragte sie und wieder erschien dieses Lächeln auf ihrem Gesicht.
    ?Leider nicht? antwortete er, auf das Spiel eingehend und schob verlegen die Kappe von seinem Kopf ?aber darf es vielleicht was anderes sein??
    ?Wenn Sie das Glück nicht bekommen, dann werden Sie doch sicher noch Glauben haben?.
    ?Der ist leider ausverkauft? war seine fast zynische Antwort ?schon lange.?
    ?Und wie sieht es mit der Hoffnung aus?? fragte sie trotz allem bestimmt.
    ?Schlecht, eher schlecht, aber Sie können ja morgen noch einmal vorbei kommen, da ist die heilige Nacht. Vielleicht bringt sie das Christkind mit.?
    Er hörte kaum noch ihr fast nur geflüstertes ?erst morgen, na gut?, sah wie sie mit prüfendem Blick einen seiner prachtvollsten Bäume begutachtete, sich kurz auf dem kleinen Hocker setzte, den er zum Verweilen hingestellt hatte und wandte sich dem interessierten Ehepaar zu, welches sich anscheinend zum Kauf einer kleinen Silbertanne entschieden hatte.

    Zufrieden mit dem erzielten Preis für die Tanne steckte er den Verkaufserlös sorgfältig in die zwischenzeitlich dick gefüllte Geldbörse und warf einen suchenden Blick zu dem Platz an dem sie gesessen war, aber sie war verschwunden. Nur ein lose in billiges Packpapier eingehülltes Paket sah er, das scheinbar achtlos dort lag.
    ?Das muss der verrückten Alten aus der Tasche gefallen sein als sie da saß? dachte er, hob es auf und es schien wie Feuer in seinen Händen zu brennen.

    Verstohlen um sich blickend, sich des eben begehenden Unrechtes bewusst, löste er die derben Schnüre die über das Paket geschlungen war, entfernte das Papier und hielt ein kleines Büchlein in der Hand. ?Florian´s Weihnachtsmärchen? stand da in zierlichen Buchstaben und auf der Rückseite lächelte ihm das Bild seines Sohnes entgegen.

    Es war einer jener Tage wo sich die Erinnerung an längst vergangene Zeiten in den Vordergrund drängte, wo kleine, aus Holz geschnitzte Schaukelpferde und, mit feinem Gold überzogene, Nüsslein so manches Lächeln auf streng blickende Gesichter zauberte und an den Christbaumschmuck der Kindheit erinnerte.

    Und er stand da, etwas abseits von den, von tausenden Lichtern geschmückten Verkaufsständen und schien doch ganz weit weg zu sein. Er stand ganz einfach da. Nicht mit lauter Stimme die vorbeiflanierenden Menschen auf seine Ware aufmerksam machend, nicht mit schmeichelnden Worten zum Kauf motivierend, nein, er stand ganz einfach da, zwischen seinen sorgsam aufgestellten Fichten und Tannen und schien zu warten.

    ?Wartest auf das Christkind oder magst a Schmalzbrot?? fragte ihn die Frau vom Punschstand und blickte ihn prüfend an.
    ?Ich mag nix? antwortete er mit gepresster Stimme ?aber schau einmal? und hielt ihr das kleine Büchlein hin.
    ?Was ist das??
    ?Das ist vom Florian.?
    ?Ja, und?? erwiderte sie verwundert.
    ?Ich hab´ nicht gewusst, dass es überhaupt gedruckt wurde.?
    Wohlgefällig drehte sie das Büchlein um, stutzte jedoch, als sie den Namen las. ?Aber hier steht ja ein anderer Name.?
    ?Ja, weil er unter einem Pseudonym geschrieben hat, damit er keine Konflikte mit der Zeitung als Kriegsberichterstatter bekommt und?? Der Satz blieb unvollendet in der Luft stecken.
    ?Was und?? hakte die gutmütige Frau nach.
    ?Und weil wir wegen diesen Geschichten so einen unendlichen Streit hatten.?
    ?War das der Grund warum er nicht mehr nach Hause gekommen ist?? fragte sie jetzt und legte tröstend ihren Arm um seine zusammengesunkene Schulter.
    ?Ja, weil ich ihm vorgeworfen habe seine Zeit mit kindischen Geschichten zu vertrödeln, anstatt sich mit ordentlicher Arbeit zu beschäftigen.?
    ?Du meinst so etwas wie Christbäume verkaufen??
    ?Ist nichts Anrüchiges was ich da mach´? sagte er grob und ließ sie ganz einfach stehen.
    Die Wienerin
    Irene-Christine Graf

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    #2
    Und dann sah er ihn. An der Hand seiner Mutter war er die Gänge entlang gewandert, hatte mit strahlendem Lächeln ihren Worten gelauscht, hatte mit seinen kleinen Fingern auf bunte Süßigkeiten gezeigt, war eingetaucht in die Masse Mensch und wieder aufgetaucht mit glänzenden Augen und vom Wind geröteten Backen. Und er sah in ihm das Ebenbild seines Sohnes. Seine Hände hoben sich zum Gruß, seine Füße wollten sich auf den kleinen Jungen hinbewegen, seine Stimme wollte rufen, doch sein Verstand sagte ihm, dass er einem Trugbild erlegen sei und er blieb stehen.

    Und dann folgte einer jener Tage, wo sich selbst die geschäftigsten Menschen besinnen, dass es der Tag ist, an dem das Christkind geboren wurde. Wo sich, vor vielen Jahrhunderten, die Könige aus dem Morgenland auf den Weg machten um dem Jesuskind ihre Gaben zu bringen, wo der Stern von Bethlehem über der einfachen Krippe wachte und das Trugbild des beginnenden Friedens entfachte. Es war jener Tag, wo Vormittag noch schnell die letzten Einkäufe getätigt wurden und sich ab der Mittagsstunde eine fast andächtige Stille über die sonst so betriebsame Stadt legt.

    Er hatte fast alle Bäume verkauft, war betrübt, dass der prächtigste von allen keinen Käufer gefunden hatte und bedauerte fast, ihn zu Brennholz verarbeiten zu müssen als sie auf einmal wieder dastand.
    Leicht hustend, mit einen riesigen Taschentuch die vom beißenden Wind tränenden Augen abwischend fragte sie ihn fast unhörbar ?haben sie die Hoffnung gefunden??
    ?Nein, die Hoffnung nicht, aber das hier? antwortete er mit stockender Stimme.
    ?Das ist gut? sagte sie leichthin und nickte zustimmend mit dem Kopf.
    ?Woher haben sie das Buch? Wem gehört es??
    ?Mir.?
    ?Aber..??
    Sie ignorierte seine nicht ausgesprochene Frage und wandte sich schwerfällig zu der Tanne. ?Was kostet die? Und können Sie sie auch liefern??
    ?Sie gehört Ihnen. Ich schenke Sie Ihnen, wenn Sie mir sagen woher Sie dieses Buch haben.?
    ?Dann bringen Sie mir dieses Prunkstück an diese Adresse, wenn Sie hier Schluss gemacht haben. Ich warte auf Sie. Und - bringen Sie mir das Buch mit.?
    ?Werden Sie mir dann erzählen ?..??
    Doch sie hatte nur einen, mit krakeliger Handschrift beschriebenen, Zettel aus ihrer Manteltasche gezogen, hatte ihm mit wissendem Lächeln zugenickt und war, schwer auf ihren Stock gestützt, davon gehumpelt.

    ?Hast a neue Freundin? alberte die Nachbarin vom Punschstand fröhlich, während sie schwer bepackt ihre letzten Waren zum wartenden Auto brachte.
    ?Nein, aber den Christbaum da soll ich noch liefern.?
    ?Der Alten? Ob die wohl zahlen kann. Schaut nicht danach aus. Wo musst Du denn hin.?
    Erst jetzt versuchte er mühsam die Handschrift zu entziffern. ?Frieden, Am Augarten 6.?
    ?In den zweiten Bezirk? rief er ihr nach und erntete nur verständnisloses Kopfschütteln.

    Leichter Schneefall hatte eingesetzt und die vom Himmel tanzenden Schneeflocken umhüllten die letzten noch aufflammenden Geräusche mit ihrer weißen Pracht um den weihnachtlichen Frieden nicht zu stören. Er hatte die prächtige Tanne mit ihren ausladenden Ästen noch in ein selbst gezimmertes Kreuz geschlagen, sorgfältig mit einem Netz umhüllt und sie auf seinen Wagen geladen, mit dem er jetzt vorsichtig zu der angegebenen Adresse fuhr.

    Ein um die letzte Jahrhundertwende hin erbautes zweistöckiges Haus wies die Nummer 6 auf und die hell erleuchteten Fenster verwischten seine immer stärker aufkommenden Zweifel einem Trugbild erlegen zu sein. Mühsam hob er den Baum von seinen Wagen, klopfte vorsichtig die sich mit eisiger Pracht klammernden Schneeflocken ab und trug ihn zu dem elegant wirkenden Eingang. Vier Namensschilder mit dazugehörenden Klingelknöpfen schmückten die Wand, doch der Name ?Frieden? war nicht zu finden.

    Weihnachtliche Klänge drangen aus einem der nur leicht angelehnten Fenster an sein Ohr. Ratlos an die Hausmauer gelehnt, das kostbare Buch in seiner Brusttasche, stand er da und eine tiefe Hoffnungslosigkeit griff mit eisiger Hand an sein Herz.
    ?Suchen Sie jemanden? hörte er eine Stimme neben sich und sah wie in weiter Ferne, die junge Frau, die soeben aus dem Haus getreten war.
    ?Ja? stammelte er und versuchte mit geballter Faust den stechenden Schmerz in seiner Brust zu verdrängen.
    ?Und wen suchen Sie? fragte sie freundlich lächelnd weiter.
    ?Die Frieden.?
    ?Sie meinen den Frieden. Ist ja ein geeigneter Anlass heute.?
    ?Nein, Sie verstehen mich nicht. Ich suche Frau Frieden. Sie hat den Baum bei mir bestellt und schauen Sie?, antwortete er ohne den Blick von ihr zu wenden und mühsam holte er den inzwischen arg zerknitterten Zettel aus seiner Tasche ?hier steht es - Frieden, Am Augarten 6.?
    ?Aber leider, hier wohnt niemand mit diesem Namen.?

    Es war jener Tage, an dem selbst Gott Erbarmen mit den armen Seelen auf der Erde hatte. Hunderte Schneeflocken umhüllten den, sich noch von seiner schützenden Hülle ummantelten Weihnachtsbaum und gaben eine Ahnung von jener Pracht, wie er, geschmückt mit goldenen Kugeln, Lametta und Kerzen aussehen würde.
    ?Sie sind wohl einer Betrügerin aufgesessen? tröste sie ihn mit warmer Stimme.
    ?Nein, das glaube ich nicht? stöhnte er ?sie war doch bei mir auf dem Markt.?
    ?Vielleicht gibt es noch eine Adresse in einem anderen Bezirk mit diesem Namen. Wo sind sie denn gestanden??
    ?Am Hof bin ich gestanden.?
    ?Ach, das ist ein so hübscher Christkindlmarkt, ich war auch dort.?
    ?Ich weiß? antwortete er wahrheitsgemäß ?ich habe Sie dort gesehen, mit Ihrem Sohn.?
    Verwundert blickte sie ihn an und zog den nur lose übergeworfen Mantel enger um ihren schmalen Körper.
    ?Sie sind wohl einer Betrügerin aufgesessen? sagte sie jetzt mitfühlend und betrachtete den prächtigen Baum, ?was machen Sie denn jetzt damit. Heute ist doch der heilige Abend.?
    Das war keine Betrügerin? stöhnte er ? sie hat mir doch das hier gegeben? und zog das Büchlein mit den Geschichten seines Sohnes hervor.

    Ein rosiger Schimmer überzog das Gesicht der jungen Frau als sie mit zarten Fingern das Buch ergriff. ?Das war die Bezahlung??
    ?Ja, das ist ein Buch, mit Geschichten meines Sohnes, und von dem ich nicht einmal wusste, dass es gedruckt worden ist.?
    ?Dann sind Sie Herr Bruckner, Florians Vater?? schrie sie leise auf.
    ?Ja, das heißt nein, ich heiße Braunschweig.?
    ?Das verstehe ich nicht, aber wollen Sie denn nicht eintreten, Sie werden doch ganz nass.?

    Sich den Schnee vom Mantel schüttelnd und mühsam nach Worten suchend war er ihr in das Haus gefolgt und fand sich wieder in einem gemütlich wirkenden Wohnzimmer in dem jener kleiner Junge saß, der ihn so schmerzlich an seinen Sohn erinnert hatte.
    Die Wienerin
    Irene-Christine Graf

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      #3
      Ich habe dieses Maerchen nicht gelesen , ich habe es regelmaessig verschlungen. Das ist eines der schoensten Maerchen die ich las.
      http://de.youtube.com/user/gunanche

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