MACHT CORONA IM GEHIRN DUMM?
Neuro-COVID – die neurologischen Auswirkungen von Corona
Nach fast 1.5 Jahren ist beinahe jedem hinlänglich bekannt: Viele COVID-19-Patienten klagen über den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns infolge einer Infektion. Aber auch das Gedächtnis ist zunehmend betroffen: So berichten manche Erkrankte von Erinnerungslücken. Weitere Symptome sind Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder extreme Müdigkeit – in der Fachsprache Fatiguegenannt – und das auch noch lange Zeit, nachdem die akute Krankheitsphase längst vorbei war.
Eine neue Studie aus den USA hat sich unlängst mit den kognitiven Langzeitfolgen von Corona befasst - und zeigt deutlich, wo die Gefahr von Gedächtnisstörungen infolge einer Corona-Erkrankung am höchsten ist. Demnach zeigte sich, dass ehemalige Patient:innen, die einen Corona-Klinikaufenthalt hinter sich hatten, in einigen Bereichen um ein Vielfaches häufiger von Gedächtnisstörungen betroffen waren als diejenigen, die lediglich ambulant behandelt wurden.
Wortfindungsstörung bei schwerem Corona-Verlauf
Besonders betroffen waren die Patient:innen, die im Krankenhaus behandelt wurden, von Wortfindungsstörungen. Allein bei 35 Prozent der Studienteilnehmer:innen traten sie auf. Zum Vergleich: Bei ambulant behandelten Patient:innen waren es nur 13 Prozent. Ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen nach einer COVID-Erkrankung bei Hospitalisierung sei das Erinnerungsvermögen und die Aufmerksamkeitsspanne.
Die Studie, die im Fachmagazin "Jama" veröffentlicht wurde, analysierte die Daten von rund 740 COVID-Patient:innen, die bei einer US-Krankenhausgruppe Mount Sinai registriert waren. 63 Prozent unter ihnen waren Frauen. Die Studienergebnisse zeigen einmal mehr, wie sich eine schwere Corona-Infektion auf das Gehirn auswirken kann.
Andere Untersuchungen zeigen: Bei Patienten mit schwerem Verlauf kam es sogar zu Schlaganfällen, Nervenschäden und Entzündungen des Gehirns. Wissenschaftler auf der ganzen Welt beschäftigen sich daher mit der Frage, wie es zu diesen Symptomen kommen kann.
Wie gelangt das Coronavirus ins Gehirn?
Wichtige Antworten haben Forscher der Berliner Charité gefunden: Sie entdeckten, dass SARS-CoV-2 möglichweise über das so genannte Riechepithel – die Riechschleimhaut mit den Geruchs-Sinneszellen – ins Gehirn gelangt. Dazu untersuchte das Team an Corona Verstorbene gezielt in diesem Bereich. Es konnte Kontaktstellen zu Nervenfasern identifizieren und Viren im Inneren von Nervenzellennachweisen.
Gleichzeitig stellten die Forscher aber fest, dass das Virus sich auch in anderen Hirnregionen befand, die nicht mit der Riechbahn in direkter Verbindung stehen. Ihre Vermutung: SARS-CoV-2 kommt auch über die Blutbahn ins Gehirn. Auch hier gelang den Spezialisten der Nachweis bei einem Patienten, bei dem sich ein Mikrothrombus gebildet hatte. Diese kleinen Blutgerinnsel können in Lunge, Herz oder Gehirn wandern und dort zu Lungenembolie, Herzinfarkt oder einem Schlaganfall führen.
Macht Corona im Gehirn dumm?
In einer Langzeit-Studie des Imperial College London wurden die kognitiven Fähigkeitender Probanden untersucht. Nach Ausbruch der Pandemie haben auch an COVID-19-Erkrankte daran teilgenommen: 3.466 der 84.285 Testpersonen gaben an, eine Corona-Infektion durchgemacht zu haben – von leichten Fällen bis zu Patienten, die beatmet werden mussten.
Das Ergebnis: Die Gruppe hat in den Tests schlechter abgeschnitten – je schwerer die Erkrankung war, desto größer die Defizite. Bei den mechanisch beatmeten Patienten entspräche das sogar einem geistigen Verfall von zehn Lebensjahren, so die Verfasser der Studie. Die Schwächen betrafen vor allem die Semantik, beispielsweise bei Wortdefinitionen, aber auch visuelle Fähigkeiten. Bei den schwer Erkrankten waren die Probleme sogar größer als bei Teilnehmern, die zuvor einen Schlaganfall erlitten oder bereits Lernschwächen hatten.
Wie gefährlich ist das Coronavirus wirklich für das Gehirn?
Das ist die große Frage, der die Forscher auf der Spur sind. Amerikanische Wissenschaftler der Yale School of Medicine haben im September eine Studie veröffentlicht, in der sie erste Beleg dafür präsentierten, dass die neurologischen Symptome mit COVID-19 zusammenhängen und das Virus Neuronen im Gehirn infizieren kann. Ihren Erkenntnissen zufolge ist SARS-CoV-2 im Gehirn sehr aggressiv.
Deutsche Wissenschaftler sind inzwischen zu weiteren Ergebnissen gelangt. In einer Gemeinschaftsstudie unter Leitung von Prof. Dr. Markus Glatzel, Direktor des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), fanden sie heraus, dass nicht das Virus selbst für die Veränderungen im Gehirn verantwortlich ist: Es ist eine Immunantwort des Körpers.
Dazu wurden Verstorbene untersucht. Bei rund der Hälfte konnten SARS-CoV-2-Erreger im Gehirn nachgewiesen werden. Allerdings fanden sich nur geringe Virusmengen. Im Vergleich zu den Patienten mit nicht befallenen Gehirnen stellten die Forscher auch nicht mehr Veränderungen fest, selbst bei den höchsten Virusmengen.
Long Covid: Gibt es keine bleibenden Schäden?
Was sie jedoch fanden, war eine Immunreaktion in den Gehirnen der Verstorbenen – was bisher vor allem im Blut beobachtet wurde. „Bislang war noch unklar, ob und wie der Erreger ins Gehirn gelangt und sich dort auch vermehren kann. Wir konnten nun zeigen, dass nicht das Coronavirus selbst das Gehirn schädigt, sondern die neurologischen Symptome vermutlich eine indirekte Folge der Virusinfektion sind“, so Prof. Dr. Glatzel. Darauf wiesen klare Entzündungsreaktionen hin.
Neue Studie entdeckt Abwehrschwächen im Nervensystem
Ein Team von Forschern der Universitäten Münster und Duisburg-Essen hat nun eine neue Studie veröffentlicht, die eine „deutlich geschwächte Immun- und Interferonantwort bei den COVID-19-Patienten“ zeigt, wie es in einer Veröffentlichung der Medizinischen Fakultät der Uni Münster heißt. Interferone sind Proteine bzw. Glykoproteine; sie regen das Immunsystem an und wirken antiviral.
Die Wissenschaftler haben diese spezifischen Veränderungen der Immunzellen im Nervenwasser von acht COVID-19-Patienten entdeckt. Dafür haben sie aus einer Gruppe von 102 Corona-Patienten gezielt diejenigen ausgewählt, die neurologische Symptome entwickelt hatten und bei denen eine Nervenwasserentnahme nötig war. Die Forscher fanden vermehrt T-Zellen – wichtige Helfer des Immunsystems – „die erschöpft wirkten“. Auch die Interferonantwort war schwächer im Vergleich zu Patienten mit viraler Gehirnentzündung.
„Zusammenfassend deutet das auf eine verminderte Immunantwort im Nervensystem auf SARS-CoV-2 hin“, so Privatdozent Dr. Gerd Meyer zu Hörste, Oberarzt der Klinik für Neurologie in Münster und federführender Autor der Studie. Inwieweit dies aber wirklich im Zusammenhang mit den neurologischen Komplikationen bei COVID-19 steht, muss weiter untersucht werden.
Alle diese Forschungsergebnisse zu Neuro-COVID zeigen, dass die Auswirkungen von Corona im Gehirn unbedingt weiter beobachtet werden müssen – und dass es noch ein weiter Weg ist, bis wir SARS-CoV-2 wirklich verstehen.
https://www.praxisvita.de/amp/neuro-...tet-19393.html
Neuro-COVID – die neurologischen Auswirkungen von Corona
Nach fast 1.5 Jahren ist beinahe jedem hinlänglich bekannt: Viele COVID-19-Patienten klagen über den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns infolge einer Infektion. Aber auch das Gedächtnis ist zunehmend betroffen: So berichten manche Erkrankte von Erinnerungslücken. Weitere Symptome sind Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder extreme Müdigkeit – in der Fachsprache Fatiguegenannt – und das auch noch lange Zeit, nachdem die akute Krankheitsphase längst vorbei war.
Eine neue Studie aus den USA hat sich unlängst mit den kognitiven Langzeitfolgen von Corona befasst - und zeigt deutlich, wo die Gefahr von Gedächtnisstörungen infolge einer Corona-Erkrankung am höchsten ist. Demnach zeigte sich, dass ehemalige Patient:innen, die einen Corona-Klinikaufenthalt hinter sich hatten, in einigen Bereichen um ein Vielfaches häufiger von Gedächtnisstörungen betroffen waren als diejenigen, die lediglich ambulant behandelt wurden.
Wortfindungsstörung bei schwerem Corona-Verlauf
Besonders betroffen waren die Patient:innen, die im Krankenhaus behandelt wurden, von Wortfindungsstörungen. Allein bei 35 Prozent der Studienteilnehmer:innen traten sie auf. Zum Vergleich: Bei ambulant behandelten Patient:innen waren es nur 13 Prozent. Ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen nach einer COVID-Erkrankung bei Hospitalisierung sei das Erinnerungsvermögen und die Aufmerksamkeitsspanne.
Die Studie, die im Fachmagazin "Jama" veröffentlicht wurde, analysierte die Daten von rund 740 COVID-Patient:innen, die bei einer US-Krankenhausgruppe Mount Sinai registriert waren. 63 Prozent unter ihnen waren Frauen. Die Studienergebnisse zeigen einmal mehr, wie sich eine schwere Corona-Infektion auf das Gehirn auswirken kann.
Andere Untersuchungen zeigen: Bei Patienten mit schwerem Verlauf kam es sogar zu Schlaganfällen, Nervenschäden und Entzündungen des Gehirns. Wissenschaftler auf der ganzen Welt beschäftigen sich daher mit der Frage, wie es zu diesen Symptomen kommen kann.
Wie gelangt das Coronavirus ins Gehirn?
Wichtige Antworten haben Forscher der Berliner Charité gefunden: Sie entdeckten, dass SARS-CoV-2 möglichweise über das so genannte Riechepithel – die Riechschleimhaut mit den Geruchs-Sinneszellen – ins Gehirn gelangt. Dazu untersuchte das Team an Corona Verstorbene gezielt in diesem Bereich. Es konnte Kontaktstellen zu Nervenfasern identifizieren und Viren im Inneren von Nervenzellennachweisen.
Gleichzeitig stellten die Forscher aber fest, dass das Virus sich auch in anderen Hirnregionen befand, die nicht mit der Riechbahn in direkter Verbindung stehen. Ihre Vermutung: SARS-CoV-2 kommt auch über die Blutbahn ins Gehirn. Auch hier gelang den Spezialisten der Nachweis bei einem Patienten, bei dem sich ein Mikrothrombus gebildet hatte. Diese kleinen Blutgerinnsel können in Lunge, Herz oder Gehirn wandern und dort zu Lungenembolie, Herzinfarkt oder einem Schlaganfall führen.
Macht Corona im Gehirn dumm?
In einer Langzeit-Studie des Imperial College London wurden die kognitiven Fähigkeitender Probanden untersucht. Nach Ausbruch der Pandemie haben auch an COVID-19-Erkrankte daran teilgenommen: 3.466 der 84.285 Testpersonen gaben an, eine Corona-Infektion durchgemacht zu haben – von leichten Fällen bis zu Patienten, die beatmet werden mussten.
Das Ergebnis: Die Gruppe hat in den Tests schlechter abgeschnitten – je schwerer die Erkrankung war, desto größer die Defizite. Bei den mechanisch beatmeten Patienten entspräche das sogar einem geistigen Verfall von zehn Lebensjahren, so die Verfasser der Studie. Die Schwächen betrafen vor allem die Semantik, beispielsweise bei Wortdefinitionen, aber auch visuelle Fähigkeiten. Bei den schwer Erkrankten waren die Probleme sogar größer als bei Teilnehmern, die zuvor einen Schlaganfall erlitten oder bereits Lernschwächen hatten.
Wie gefährlich ist das Coronavirus wirklich für das Gehirn?
Das ist die große Frage, der die Forscher auf der Spur sind. Amerikanische Wissenschaftler der Yale School of Medicine haben im September eine Studie veröffentlicht, in der sie erste Beleg dafür präsentierten, dass die neurologischen Symptome mit COVID-19 zusammenhängen und das Virus Neuronen im Gehirn infizieren kann. Ihren Erkenntnissen zufolge ist SARS-CoV-2 im Gehirn sehr aggressiv.
Deutsche Wissenschaftler sind inzwischen zu weiteren Ergebnissen gelangt. In einer Gemeinschaftsstudie unter Leitung von Prof. Dr. Markus Glatzel, Direktor des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), fanden sie heraus, dass nicht das Virus selbst für die Veränderungen im Gehirn verantwortlich ist: Es ist eine Immunantwort des Körpers.
Dazu wurden Verstorbene untersucht. Bei rund der Hälfte konnten SARS-CoV-2-Erreger im Gehirn nachgewiesen werden. Allerdings fanden sich nur geringe Virusmengen. Im Vergleich zu den Patienten mit nicht befallenen Gehirnen stellten die Forscher auch nicht mehr Veränderungen fest, selbst bei den höchsten Virusmengen.
Long Covid: Gibt es keine bleibenden Schäden?
Was sie jedoch fanden, war eine Immunreaktion in den Gehirnen der Verstorbenen – was bisher vor allem im Blut beobachtet wurde. „Bislang war noch unklar, ob und wie der Erreger ins Gehirn gelangt und sich dort auch vermehren kann. Wir konnten nun zeigen, dass nicht das Coronavirus selbst das Gehirn schädigt, sondern die neurologischen Symptome vermutlich eine indirekte Folge der Virusinfektion sind“, so Prof. Dr. Glatzel. Darauf wiesen klare Entzündungsreaktionen hin.
Neue Studie entdeckt Abwehrschwächen im Nervensystem
Ein Team von Forschern der Universitäten Münster und Duisburg-Essen hat nun eine neue Studie veröffentlicht, die eine „deutlich geschwächte Immun- und Interferonantwort bei den COVID-19-Patienten“ zeigt, wie es in einer Veröffentlichung der Medizinischen Fakultät der Uni Münster heißt. Interferone sind Proteine bzw. Glykoproteine; sie regen das Immunsystem an und wirken antiviral.
Die Wissenschaftler haben diese spezifischen Veränderungen der Immunzellen im Nervenwasser von acht COVID-19-Patienten entdeckt. Dafür haben sie aus einer Gruppe von 102 Corona-Patienten gezielt diejenigen ausgewählt, die neurologische Symptome entwickelt hatten und bei denen eine Nervenwasserentnahme nötig war. Die Forscher fanden vermehrt T-Zellen – wichtige Helfer des Immunsystems – „die erschöpft wirkten“. Auch die Interferonantwort war schwächer im Vergleich zu Patienten mit viraler Gehirnentzündung.
„Zusammenfassend deutet das auf eine verminderte Immunantwort im Nervensystem auf SARS-CoV-2 hin“, so Privatdozent Dr. Gerd Meyer zu Hörste, Oberarzt der Klinik für Neurologie in Münster und federführender Autor der Studie. Inwieweit dies aber wirklich im Zusammenhang mit den neurologischen Komplikationen bei COVID-19 steht, muss weiter untersucht werden.
Alle diese Forschungsergebnisse zu Neuro-COVID zeigen, dass die Auswirkungen von Corona im Gehirn unbedingt weiter beobachtet werden müssen – und dass es noch ein weiter Weg ist, bis wir SARS-CoV-2 wirklich verstehen.
https://www.praxisvita.de/amp/neuro-...tet-19393.html
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